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"Stillen ist kein Instinkt"

 

Mein Name ist Anna Maria Steinbock und ich freue mich sehr, dieses wichtige Thema in einem Gastbeitrag aufgreifen zu dürfen. Seit fast 10 Jahren arbeite ich als diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin auf einer Wochenbettstation mit Müttern und Babys. Um eine umfassende, kompetente und evidenzbasierte Beratung zu gewährleisten, habe ich mich spezialisiert und bin seit 5 Jahren IBCLC Still- und Laktationsberaterin. Seitdem arbeite ich auch freiberuflich, mache Hausbesuche, begleite (werdende) Familien, veranstalte Stillvorbereitungskurse und unterstütze bei Stillproblemen jeglicher Art. Mittlerweile habe ich auch meine eigene Praxis in Ternitz (Niederösterreich), wo ich mit meinem Mann, unseren zwei Kindern, zwei Katzen und vier Hühnern lebe.

 

"Nahezu jede Frau kann stillen"

Ich liebe meine Arbeit als Stillberaterin und darum beschäftigt mich eine Sache schon immer sehr: Die vielen falschen Vorstellungen, die zum Thema Stillen kursieren.

Ich sehe viele schwangere Frauen, die Aussagen treffen wie „Stillen ist doch natürlich, was soll schiefgehen?“ oder „Bei uns hat noch jede Frau in der Familie gestillt.“ oder auch „Wenn es klappt, dann stille ich. Wenn nicht, dann eben nicht.“ 

Deshalb möchte ich ganz klar sagen, dass man sich als junge Mutter keinem vermeintlichen Schicksal hingeben muss, denn: Nahezu jede Frau kann stillen! Die wichtigsten Ressourcen dafür sind das eigene Vorwissen, kompetente Unterstützung und ein Umfeld, das sie in ihrem Vorhaben zu stillen unterstützt.

 

"Stillen ist ein angelerntes Verhalten"

Stillen ist kein Instinkt, wie viele denken. Es gibt zwar Reflexe wie zum Beispiel den Rooting-Reflex (Such-Reflex), der beim Baby ausgelöst wird, wenn die Wange berührt wird und es reflektorisch den Mund öffnet. Jedoch: Stillen ist ein Zusammenspiel aus vielen Komponenten: Mama, Baby, Position & Handling und ist nachgewiesenermaßen ein angelerntes Verhalten.

 

Früher lebten Frauen in größeren Familienverbänden. Sie wuchsen mit vielen Babys und vielen anderen Müttern um sich herum auf: Schwestern, Cousinen, Tanten und auch ihre eigenen Mütter, die meistens auch mehrere Kinder bekamen. Sie sahen diese Frauen gebären und auch stillen und lernten so, von Anfang an und mit einer Selbstverständlichkeit, das Stillen eines Babys am lebenden Modell. 

 

Heutzutage wachsen bei uns die Meisten in kleineren Familienverbänden auf und viele haben deshalb noch nie ein Baby gehalten, bevor sie ihr eigenes in ihren Händen halten. Wenn junge Eltern überhaupt schon mal ein anderes Mutter-Kind-Paar stillen gesehen haben, dann war es vermutlich schon ein eingespieltes Still-Team mit einem mehrere Monate altem Baby. 

 

Denn im frühen Wochenbett bleiben junge Familien doch eher zuhause in ihren vier Wänden. Was werdende Mütter deshalb nicht wissen: Das Stillen im frühen Wochenbett hat nichts zu tun mit dem eingespielten Mutter-Kind-Paar, das sie eventuell im Park letztens gesehen haben. 

 

Stillen im frühen Wochenbett ist vielmehr wie tanzen. Das Paar muss gemeinsam jeden Schritt einüben. Es braucht mehrere Wochen mit viel Übung, Ausdauer und Geduld, bis eine ganze "Still-Choreografie" erlernt ist. Irgendwann sieht es so aus, als ob die beiden nie etwas anderes getan hätten. 

"Viele (falsche) Tipps & Ratschläge"

Leider kommen in dieser vulnerablen ersten Zeit so viele Tipps und Ratschläge von allen Seiten (inkl. Hebammen, ÄrztInnen & Sachbücher), wie noch nie zuvor. Plötzlich will es jeder rundherum besser wissen und gerade beim ersten Kind möchte man alles richtig machen. Es ist, als ob das neue Tanzpaar plötzlich 30 verschiedene Trainer hätte, die alle anders unterrichten. Die Auswirkungen sind enorm: Schmerzen beim Stillen, unerwünschter Gewichtsverlust beim Kind, Zufütterung oder zu wenig Milch sind nur einige wenige Beispiele, warum mich Mütter verzweifelt nach mehreren Wochen oder Monaten anrufen. 

 

Die meisten dieser Probleme hätten durch Vorwissen und gute Beratung vermieden werden können und deshalb sehe ich einen fundierten Stillvorbereitungskurs in der Schwangerschaft als absolutes MUSS für jede werdende Mutter bzw. am besten für beide werdenden Elternteile. Weiters sollte jede frische Familie wissen, dass es IBCLCs, also zertifizierte Still- und Laktationsberaterinnen gibt und wo diese zu finden sind - www.stillen.at - damit bei Fragen oder Problemen sofort die richtige Ansprechperson gefunden und keine wertvolle Zeit verschwendet wird.  

 

"Die 9 wichtigsten Still-Facts"

  1. Jede werdende Mutter sollte sich schon in der Schwangerschaft mit der eigenen Brust vertraut machen, sowie die Brustmassage und das Gewinnen von Muttermilch per Hand erlernen.

  2. Um eine gute Milchbildung zu erhalten und das Baby mit genügend Muttermilch zu versorgen, sollte mindestens 8-12 Mal innerhalb 24 Stunden gestillt werden.

  3. Jedes Elternpaar sollte die frühen Stillzeichen des Neugeborenen kennen und wissen, wie man einen schläfrigen Säugling weckt.

  4. Stillen darf NIEMALS Schmerzen verursachen! In den ersten Tagen können die Mamillen (Brustwarzen) noch etwas empfindlich sein, bis sie sich an das neue Gefühl gewöhnt haben. Echte Schmerzen deuten auf eine falsche Anlegetechnik oder auf eine falsche Saugtechnik hin.

  5. Beim Stillen sollte immer auf eine superbequeme Haltung geachtet werden. Die Arme sollten auf Pölstern abgelegt und die Schultern locker sein, damit die Milch besser fließen kann. Dies geschieht durch das Hormon Oxytocin, das für den Milchspendereflex verantwortlich ist. Es wird ausgeschüttet, wenn sich die Mutter wohl fühlt.

  6. In den ersten Lebenswochen ist das ausgedehnte Kuscheln mit dem Baby, auch im Haut-zu-Haut-Kontakt, besonders wichtig. Dadurch wird vermehrt Oxytocin ausgeschüttet. Das Hormon verhilft einer besseren Bindung, es macht Eltern geduldiger und liebevoller im Umgang mit ihrem Baby und beeinflusst das Stillen positiv. Gerade im frühen Wochenbett empfiehlt sich das Stillen im Haut-zu-Haut-Kontakt.

  7. Auch beim Tragen in einem Tragetuch oder einer Tragehilfe wird Oxytocin ausgeschüttet. Vor allem, wenn die Wange des Kindes auf der nackten Brust aufliegt. Ein weiter Ausschnitt hilft.

  8. Damit sich das Stillen gut einspielen kann, sollte in den ersten Wochen nach Geburt der Einsatz von Beruhigungssaugern (Schnuller), Flaschensaugern und Zufütterung vermieden werden.

  9. Falls eine Zufütterung in den ersten Tagen medizinisch notwendig ist, darf die Mutter über die Art der Zufütterung entscheiden. Zu den stillfreundlichen Alternativen zählen das Zufüttern per Sonde an der Brust, die Becher- und die Löffelfütterung.

Anna Maria Steinbock ist diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin auf einer Wochenbettstation und unterstützt zusätzlich als IBCLC Laktations- und Stillberaterin (werdende) Eltern bei der Stillvorbereitung und bei Stillproblemen. 

 

Kontakt und weitere Infos zu Stillvorbereitung, Elternvorbereitung & Stillberatung findest du unter:

 

www.zeitzuzweit-stillberatung.at

 

 

-> Nächster Stillvorbereitungskurs am 14.12.2024 im Herrenhaus/Ternitz.   


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